metallische Werkstoffe: Vom Schmiedeeisen zur »intelligenten« Legierung

metallische Werkstoffe: Vom Schmiedeeisen zur »intelligenten« Legierung
metallische Werkstoffe: Vom Schmiedeeisen zur »intelligenten« Legierung
 
Das als Werkstoff am häufigsten verwendete Metall ist Eisen. Zu seiner noch heute ungebrochenen Popularität gelangte das Eisen in der Eisenzeit, die im Hethiterreich (heutiger Naher Osten) zwischen 1400 und 1200 v. Chr. begann. Der überragende Vorzug eiserner Werkstoffe ist ihre Härte, eine Eigenschaft, die sie jedoch nicht dem Eisen selbst verdanken, sondern seiner Fähigkeit, Legierungen zu bilden. Reines Eisen ist so weich, dass es sich von Apatit, dem Hauptbestandteil der festen Knochensubstanz, ritzen lässt! Roheisen hingegen ist hart und spröde, weil es herstellungsbedingt bis zu vier Prozent Kohlenstoff enthält. Es erweicht beim Erhitzen außerdem nicht allmählich, sondern schmilzt plötzlich. Daher lässt es sich weder schmieden noch schweißen. Zur besseren Bearbeitbarkeit muss der Kohlenstoffgehalt deutlich verringert werden. Stahl enthält maximal zwei Prozent Kohlenstoff sowie andere Metallen in verschiedenen Konzentrationen.
 
Auch heute ist das Innovationspotenzial von Stahl keineswegs ausgereizt, und das gilt erst recht für andere metallische Werkstoffe. Neuartige Metalle sind ein Feld intensiver materialwissenschaftlicher Forschung, und selbst Stahl gehört noch nicht zum »alten Eisen«, da er immer wieder Überraschungen birgt. Zum besseren Verständnis lohnt es sich, vor der Diskussion der neuen metallischen Werkstoffe einen Blick auf Stand und Perspektiven der Stahlerzeugung zu werfen.
 
 Stahlherstellung
 
Vor der Stahlherstellung muss zunächst einmal das (Roh-)Eisen erzeugt werden. Dies erfolgt mithilfe des Hochofenprozesses. Ausgangsstoffe hierfür sind zum einen Eisenerze, die aus dem Abbau natürlicher Lagerstätten stammen, zum anderen Schrott, also Alteisen. Zur Gewinnung von Roheisen wird das Ausgangsmaterial im Hochofen unter Zugabe von Koks (Kohlenstoff) und verschiedenen Zuschlägen erhitzt und bei Temperaturen von bis zu 1600 Grad Celsius geschmolzen. Die ständige Zufuhr von vorerhitzter Luft hält die Temperatur durch die Koksverbrennung aufrecht. Unter diesen Bedingungen wird den Eisenoxiden der Sauerstoff entzogen, sie werden zum Metall reduziert. Dennoch werden gleichzeitig Teile des im Eisen gelösten Kohlenstoffs oxidiert und entweichen daraufhin mit den Verbrennungsgasen (Gichtgas). Die Erzbestandteile Silicat, Phosphat, Aluminium- und Calciumverbindungen, die durch die Zuschläge noch ergänzt werden, scheiden sich als dünnflüssige Schlacke auf der schwereren Eisenschmelze ab; sulfidischer Schwefel wird verbrannt und geht mit den Gichtgasen ab. Durch Öffnen eines Auslasses (Abstechen) kann die erzeugte Eisenschmelze abfließen.
 
Um das Roheisen in Stahl zu überführen, muss es entkohlt werden. Die Roheisenschmelze wird dazu zunächst in einen feuerfest ausgekleideten Tiegel, den Konverter, gefüllt. Beim Windfrisch- oder Linz-Donauwitzer(LD-)Verfahren wird der Kohlenstoff sodann gleichzeitig mit verschiedenen Verunreinigungen durch Aufblasen von Sauerstoff mit sieben bis zwölf Bar entfernt. Die Schmelze erhitzt dabei vor allem durch den Eisenabbrand auf über 2000 Grad, der Eisenverlust hierdurch beträgt rund 10 Prozent.
 
Zur Stahlerzeugung geht man heute in wachsendem Umfang direkt von Schrott aus, der in Elektrolichtbogenöfen aufgeschmolzen wird. Zwischen den in den Schrott hineinragenden Kohleelektroden wird ein elektrischer Lichtbogen gezündet, der das Alteisen zum Schmelzen bringt. Zusätzlich wird hierbei meist noch Sauerstoff eingeblasen, was den Vorgang beschleunigt.
 
Um einen Stahl mit den gewünschten Eigenschaften zu erhalten, müssen der gereinigten Schmelze gezielt besondere Beimengungen hinzugefügt werden, die das beim Abkühlen entstehende kristalline Gefüge des Stahls beeinflussen. Von besonderer Bedeutung ist dabei der Kohlenstoffgehalt, der sehr genau eingestellt werden muss. Zu beachten ist, dass der Kohlenstoff mit Beimengungen, die für Spezialstähle benötigt werden, unerwünschte chemische Reaktionen eingehen kann. So enthalten beispielsweise rostfreie Stähle hohe Anteile von Chrom und Nickel. Bei ausreichendem Chromgehalt bildet sich an der Stahloberfläche eine dünne Chromoxidschicht, welche die weitere Oxidation des Stahls und die Diffusion von Sauerstoff in das Kristallgefüge verhindert. Ist aber der Kohlenstoffgehalt zu hoch, so bilden sich Kohlenstoffverbindungen des Chroms (Chromcarbide) und es steht nicht mehr genügend Chrom zur Verfügung, um die Schutzsschicht aufzubauen.
 
Der Stahl wird gewöhnlich in etwa 25 Zentimeter dicken, rechteckigen Strängen, Brammen genannt, gegossen. Zur Herstellung von Stahlblechen dient beispielsweise das Walzen bei erhöhter Temperatur. Dabei kommt es zu Umlagerungen im Kristallgefüge und zur Verringerung von Gitterfehlern. Mithilfe des Doppelrollerverfahrens lassen sich nur einen Millimeter starke Bänder direkt aus der Schmelze erzeugen, indem man diese unmittelbar auf zwei seitlich abgedichtete Walzen fließen und zwischen ihnen erstarren lässt.
 
Gefüge von Stahl
 
Der Variantenreichtum von Stahl resultiert einerseits aus den verschiedenen Zuschlägen, die man dem Roheisen hinzufügt, andererseits aber auch aus Unterschieden in den Abkühlungsbedingungen sowie thermischer und mechanischer Nachbehandlung. Dabei bilden sich im Stahl unterschiedliche Phasen, die verschiedene Kristallstrukturen aufweisen. Die Bildung solcher Phasen lässt sich unter anderem in einem Zustandsdiagramm oder Zeit-Temperatur-Diagramm verdeutlichen. An ihm lässt sich ablesen, welche Phasen sich bei gegebener Temperatur und Konzentration der Zuschläge bilden.
 
Härte und Festigkeit von Stahl werden primär durch den Gehalt und die Verteilung von Kohlenstoff bestimmt. Diese Parameter lassen sich bereits bei der Produktion einstellen, indem man den Kohlenstoff mithilfe von Sauerstoff ganz oder teilweise aus der Schmelze entfernt oder ihn durch Zugabe von geeigneten Legierungselementen bindet. Eine Eisenschmelze kann bis zu 4,3 Prozent Kohlenstoff enthalten. Für den festen Zustand unterscheidet man zwei Modifikationen mit unterschiedlichen Kristallgittern: γ-Eisen kann höchstens 2,1 Prozent und α-Eisen nur 0,02 Prozent aufnehmen. Beim Abkühlen einer kohlenstoffhaltigen Eisenschmelze kristallisiert zunächst der kubisch-flächenzentrierte Austenit, eine feste Lösung von Kohlenstoff in γ-Eisen. Bei weiterem Abkühlen wandelt sich die Austenitphase in den kubisch-raumzentrierten Ferrit um, eine feste Lösung von Kohlenstoff in α-Eisen. Austenit enthält wesentlich mehr Kohlenstoff, als Ferrit aufnehmen kann. Bei der Umwandlung scheidet sich daher neben freiem gebundener Kohlenstoff in Form von Zementit (Eisencarbid, Fe3C) ab, wobei eine lamellenartig geschichtete Struktur mit perlmuttartigem Glanz entsteht, was dem Material den Namen Perlit eingetragen hat.
 
Zeit-Temperatur-Umwandlungsdiagramme verdeutlichen die Bildung solcher unterschiedlichen Strukturen. In ihnen wird beispielsweise erkennbar, wie lange der Rohstahl bei einer gegebenen Temperatur gehalten werden muss, um eine gewünschte Struktur zu erreichen. Sie zeigen auch, dass noch weitere Kristallstrukturen existieren. Beispielsweise bildet sich bei Temperaturen unterhalb von etwa 500 Grad Celsius aus Austenit ein neues Material namens Bainit. In diesem Temperaturbereich vollzieht sich die Kohlenstoffdiffusion nur noch sehr langsam, weshalb sich anstelle von Lamellen die feder- oder nadelförmigen Strukturen von Bainit bilden.
 
Bei noch tieferen Temperaturen entsteht im Stahl Martensit. Hierbei handelt es sich nicht um eine weitere Mischung unterschiedlicher Stahlbestandteile, sondern um eine andere kristalline Form des Stahls. Sie entsteht durch eine Umbildung der Kristallstruktur während der Erstarrung: Austenit, der ein kubisch-flächenzentriertes Gitter besitzt, wandelt sich in die kubisch-raumzentrierte Martensitstruktur um, deren genaues Erscheinungsbild vom Kohlenstoffgehalt abhängt. Martensit kann man erzeugen, indem man den Rohstahl abschreckt, also sehr schnell abkühlt. Durch einen als Anlassen bezeichneten späteren Arbeitsschritt wird eine erneute Umlagerung der Kristallstruktur erreicht. Dabei lagern sich zwischen den Schichten des Martensits feine Körner aus Zementit ab.
 
Außer vom Kohlenstoffgehalt und der Art der Entfernung unerwünschter Beimengungen hängen die Eigenschaften eines Stahls noch von einer weiteren Gegebenheit wesentlich ab: von der Konzentration erwünschter Beimengungen, also von den Legierungselementen. Durch Veränderung der Mischungsanteile in Legierungen versucht man Härte und Verformbarkeit eines Stahls gleichzeitig zu erhöhen; dies ist deshalb schwierig, weil meistens mit steigender Härte das Material spröder wird, also die Verformbarkeit abnimmt. Weitere Eigenschaften sind die Bearbeitbarkeit — etwa wie leicht eine neue Stahlsorte durch Arbeitsschritte nach der Schmelze verformt werden kann —, ob sie leicht geschweißt werden kann, ob der Stahl korrosionsfest ist und sich bei den geplanten Anwendungen chemisch nicht verändert, und ob er sich zu marktgerechten Preisen herstellen und später wieder verwenden lässt.
 
Neue Stähle
 
Moderne Stähle können, außer Eisen und Kohlenstoff, mehr als ein Dutzend verschiedener weiterer Legierungselemente enthalten. Die kaum überschaubare Anzahl von möglichen Kombinationen ist bisher nur ansatzweise ausgeschöpft worden — dies deutet auf das immer noch hohe Innovationspotenzial dieses Werkstoffes hin. Von den Ende der 1990er-Jahre am Markt erhältlichen ungefähr 2000 genormten Stahlsorten war die Hälfte noch keine fünf Jahre am Markt, und die 20 Jahre zuvor meist verkauften Stähle sind mittlerweile fast alle vom Markt verdrängt. Dies zeigt die Dynamik der Stahlentwicklung, die nur deshalb nicht so ins Auge fällt, weil sie weniger sprunghaft geschieht. Aber allein die großen Produktionsvolumina bewirken, dass selbst kleinere Innovationen bereits große wirtschaftliche Auswirkungen haben.
 
In der heutigen Stahlentwicklung werden ständig neue Legierungen aus der schier unendlichen Bandbreite möglicher Elementkombinationen erforscht. Besonders vielversprechend scheint die Entwicklung von stickstofflegiertem Stahl, da dieser die beiden wichtigsten Eigenschaften, Härte und Verformbarkeit, besonders gut verbindet. Bei der Wiederverwertbarkeit schneidet Stahl besser als viele andere Werkstoffe ab; in letzter Zeit wurden an mehreren Standorten kleine Hochöfen errichtet, die praktisch ausschließlich Alteisen und Schrott als Ausgangsmaterial verwenden. Schließlich werden auch die Herstellungsverfahren laufend verbessert. Zur Verringerung des Gasgehalts von Stahl kann man in die Schmelze beispielsweise das sehr reaktionsträge Edelgas Helium einleiten, wodurch andere Gase ausgespült werden. Das Doppelrollerverfahren zur Herstellung millimeterdünner Stahlbänder mit extrem feinkörniger Mikrostruktur wurde bereits erwähnt. Des Weiteren gibt es mittlerweile eine Vielzahl von innovativen Oberflächenveredlungsverfahren, bei denen etwa Polymere, Titancarbid oder Titannitridschichten chemisch oder mechanisch aufgebracht werden; auch die gezielte Veränderung der Gefügestruktur durch Elektronen- oder Ionenbeschuss gehört hierzu. Der Übergang zwischen Stahlveredlung und der Entwicklung von Verbundstoffen ist natürlich fließend, aber gerade die Tatsache, dass auch bei der verhältnismäßig jungen materialwissenschaftlichen Disziplin der Verbundwerkstoffe Stahl eine wichtige Rolle spielt, zeigt abermals, dass neue Stähle auch in Zukunft eine große Rolle spielen werden.
 
 
Zu den Nichteisenmetallen zählt man alle Metalle außer Eisen — die spezifisch weniger dichten heißen Leichtmetalle, die dichteren Schwermetalle —, aber auch Legierungen, die kein oder nur wenig Eisen enthalten. Typische Leichtmetalle sind Aluminium, Magnesium und Beryllium. Die aus ihnen und ihren Legierungen gewonnenen Werkstoffe besitzen die Vorteile großer Härte und geringen Gewichts, weshalb sie besonders in der Luft- und Raumfahrt und in immer stärkerem Maße in der Automobilindustrie eingesetzt werden. Daneben sind einige besonders korrosionsfest, da sich beispielsweise bei Aluminium eine dichte Oxidschicht an der Oberfläche ausbildet. In chemisch aggressiven Umgebungen, etwa in Meeresluft, bilden sich besonders leicht Salze wie Magnesiumchlorid, was der Lebensdauer von Magnesiumlegierungen Grenzen setzt. Neuere Aluminiumlegierungen enthalten große Mengen an Lithium, einem noch leichteren Metall. Sie weisen auch bei hoher Temperatur noch hohe Festigkeit auf und haben dazu den Vorteil, dass sich durch Materialermüdung hervorgerufene Risse nur langsam in ihnen ausbreiten. Aluminium-Lithium-Legierungen werden daher vor allem zur Herstellung von Flugzeugrümpfen und -tragflächen eingesetzt.
 
Kupferlegierungen gehören zu den ältesten technischen Werkstoffen der Menschheit. Schon vor Jahrtausenden wurde Kupfer mit Zinn zu Bronze gemischt. Kupfer ist wegen seiner hohen elektrischen Leitfähigkeit das Standardmaterial für den Einsatz in Elektrotechnik und Elektronik. Ähnlich wie in Stahl bilden sich in Kupferlegierungen verschiedene Phasen mit unterschiedlicher Härte und Bearbeitungsfähigkeit. Moderne zirconium- oder berylliumhaltige Kupferlegierungen eignen sich gut als Werkzeugmaterial für Arbeiten in Anwesenheit leicht entflammbarer Gase, da sich bei ihnen keine Funken bilden. Legierungen aus Kupfer und Blei werden als Werkstoffe für Lager benutzt, da das Blei auf der Lageroberfläche als Gleitmittel wirkt, aufgrund seiner Weichheit Unebenheiten glättet und abrasive (reibungsfördernde) Schmutzpartikel in die Gleitschicht einbettet.
 
Nickel- und Cobaltlegierungen zeichnen sich durch hohe Korrosionsbeständigkeit, geringe Verformbarkeit, hohe Verschleißfestigkeit und ferromagnetisches Verhalten aus. Eine solche Legierung ist das bereits 1896 entwickelte Invar. Sie besteht aus 36 Prozent Nickel und 63,5 Prozent Eisen. Das restliche halbe Prozent machen Mangan, Silicium und Kohlenstoff aus. Invar weist eine so geringe thermische Ausdehnung auf, dass es bereits Anfang des Jahrhunderts zur kostengünstigen Vervielfältigung des (aus Platin bestehenden) Urmeters verwendet wurde — auch der Name der Legierung weist darauf hin: Er leitet sich von »invariant«, also unveränderlich, ab. Von besonderer Bedeutung in dieser Gruppe von Legierungen sind auch Superlegierungen. Sie weisen bei hoher Temperatur noch hohe Festigkeit auf, obwohl ihre Schmelztemperaturen sich nicht wesentlich von denen anderer Legierungen unterscheiden. Erreicht wird dieses Verhalten durch eine Oberflächenbehandlung der Werkstoffe, die der Oberfläche extreme Härte verleiht, während das Werkstoffinnere elastisch-bruchfest ist. Superlegierungen werden beispielsweise für Turbinenschaufeln eingesetzt, die einem ständigen Bombardement von gasförmigen oder flüssigen Teilchen bei sehr hohen Temperaturen ausgesetzt sind.
 
Zu den hoch schmelzenden Metallen zählen Substanzen wie Wolfram, Tantal oder Niob, die außergewöhnlich hohe Schmelztemperaturen zwischen 2000 und 3500 Grad Celsius aufweisen. Sie werden überall dort eingesetzt, wo Maschinen und Bauteile hohen Betriebstemperaturen ausgesetzt sind, etwa in der Raumfahrt, aber auch in Glühlampen. Da diese Metalle jedoch schon bei Temperaturen von nur 200 Grad Celsius stark korrosionsanfällig sind, müssen sie durch geeignete Beschichtungen geschützt werden, oder man muss unter Luftausschluss arbeiten.
 
 
Ein in letzter Zeit immer häufiger auch bei alltäglichen Produkten eingesetztes Metall ist Titan. Titan und seine Legierungen zeichnen sich durch hohe Festigkeit, niedrigen Verschleiß und hohe Korrosionsbeständigkeit aus. Zudem besitzt Titan eine hohe Biokompatibilität: Es ruft im medizinischem Einsatz kaum Immunabwehrreaktionen im Gewebe hervor. Daher eignet es sich als Werkstoff für künstliche Gelenke. Körpergelenke sind starken mechanischen Belastungen ausgesetzt. Die meisten Titanlegierungen sind zu weich; geeignet ist hier nur Titannitrid (TiN), das allerdings sehr spröde ist. Daher versieht man aus Titan bestehende künstliche Gelenke an der Oberfläche mit Titannitrid. Hier stellt sich das Problem, dass sich die mechanischen und thermischen Eigenschaften der Oberflächenschichten möglichst kontinuierlich denen des Werkstoffinneren angleichen müssen, da sonst innere Spannungen und Deformationen entstehen. Man erreicht dies — zusammen mit einer höheren Oberflächenhärte — durch zwei aufeinander folgende Arbeitsschritte, die als Plasmanitrieren und als PECVD (Plasma Enhanced Chemical Vapor Deposition, plasmaunterstütztes Abscheiden aus der Gasphase) bezeichnet werden.
 
Beim Plasmanitrieren wird das Titanwerkstück einem Stickstoffplasma, also einem hochenergetischen Gemisch aus Stickstoffionen und Elektronen, ausgesetzt. Die Stickstoffionen lagern sich zunächst an der Oberfläche an und wandern von dort in das Innere. Sie bilden dort eine etwa 0,4 Mikrometer dünne TiN-haltige Schicht. Im folgenden Schritt nutzt man diese Schicht als Trägersubstanz. Zunächst wird in diesem zweiten Schritt eine titanhaltige Flüssigkeit verdampft und der entstehende Titandampf in eine Plasmareaktionskammer geleitet, in der sich auch der zu behandelnde Rohling befindet. Zusammen mit dem Stickstoff des Plasmas bildet sich erneut TiN, das sich auf der zuvor erzeugten Trägerschicht absetzt und dort eine bis zu 20 Mikrometer dicke, homogene Oberflächenschicht bildet, die etwa siebenmal härter als das Innere des Werkstücks ist.
 
Der Computer als Experimentierfeld
 
Oft bewirken bereits geringe Modifikationen der Zusammensetzung einer Legierung geradezu drastische Veränderungen in den Materialeigenschaften — eine Eigentümlichkeit, die besonders bei metallischen Werkstoffen zu beobachten ist. Um solche Phänomene mit möglichst geringem Aufwand untersuchen zu können, werden neben praktischen experimentellen Arbeiten, welche die verschiedenen Eigenschaften von Werkstoffen entschlüsseln sollen, auch theoretische Simulationsrechnungen am Computer durchgeführt, mit denen das Verhalten eines bestimmten Werkstoffs untersucht werden kann. Voraussetzung ist, dass für diese Werkstoffklasse auch eine akzeptable Theorie existiert, die mit Computerhilfe nachgebildet werden kann. Die Ergebnisse der Simulationen werden anhand von experimentellen Untersuchungen überprüft. Diese Verzahnung von Theorie, Simulation und Experiment ermöglicht eine allmähliche Verbesserung der theoretischen Modelle, die dadurch immer besser die spezifischen Werkstoffeigenschaften beschreiben und Eigenschaften modifizierter Materialien voraussagen können.
 
 Formgedächtnislegierungen
 
Ohne dass wir uns dessen bewusst sind, reagieren heute viele Werkstoffe in zahlreichen Bereichen des täglichen Lebens »intelligent« auf äußere Reize: Thermofühler schalten den Haartrockner aus, wenn dieser zu heiß wird, optische Sensoren überwachen die Raumluft auf ihre Rußkonzentration und geben nötigenfalls Feueralarm, Lichtschranken und Infrarotsensoren steuern das Öffnen von Türen und Fenstern. Eine besondere Spezies von Nickellegierungen namens Nitinol, zu je etwa gleichen Teilen aus Nickel und Titan bestehend, scheint sogar über ein Gedächtnis für Formen zu verfügen. Der Name leitet sich von Nickel, Tin (Zinn) und dem Naval Ordnance Laboratory her, an dem der Werkstoff entwickelt wurde. Erhitzt man ein Werkstück, das aus einer solchen Formgedächtnislegierung besteht, so verändert es seine äußere Gestalt — beim Abkühlen nimmt es jedoch wieder die vorherige Gestalt an, als sei nichts geschehen. Der Werkstoff »erinnert sich« scheinbar an seine frühere Form. Auch andere Stoffe können in Abhängigkeit von Umgebungsbedingungen solche »Intelligenzleistungen« vollbringen, man nennt sie daher »intelligente« Werkstoffe.
 
Ursache für den Formgedächtniseffekt ist eine Veränderung der Kristallstruktur, die bereits bei relativ geringen Temperaturunterschieden eintreten kann. Oberhalb einer bestimmten Temperaturgrenze liegt das Material in der Kristallstruktur des Austenits vor. Wird diese Temperatur unterschritten, ordnen sich die Atome um in die Martensitstruktur, wodurch der gesamte Werkstoff seine Form ändert. Diese Umwandlung ist bei Nitinol reversibel (umkehrbar), tritt also jedes Mal wieder ein, wenn das Material die entsprechende Temperaturgrenze unter- beziehungsweise überschreitet. Inzwischen wurde der Formgedächtniseffekt auch bei bestimmten Kupferlegierungen und Kunststoffen beobachtet.
 
Anwendungen
 
Ein aus einer Formgedächtnislegierung gefertigtes Werkstück lässt sich im Prinzip in zwei unterschiedlichen komplexen Formen gleichzeitig herstellen. Allein durch Temperaturänderungen lassen diese sich ineinander überführen; dabei sind auch solche Formänderungen möglich, für die bei einer »normalen« mechanischen Realisierung zahlreiche Verbindungen und Kugelgelenke benötigt würden. Dies birgt ein enormes technisches Potenzial. Denkbar sind beispielsweise Kombinationen »intelligenter« Werkstoffe mit Sensoren, die übermäßige Belastungen in einem Bauteil registrieren. Aufheizung mittels elektrischen Stroms würde eine Formänderung auslösen, die der Belastung entgegenwirken könnte.
 
Bereits heute eingesetzt und erprobt werden »intelligente« Werkstoffe derzeit als Aktuatoren (aktiv bewegliche Bauteile), beispielsweise in der Robotertechnik. Oftmals müssen Fertigungsroboter zwei Positionen anfahren, etwa um ein Werkstück aufzunehmen und es zu befestigen. Diese Aufgabe lässt sich auf einfache Weise mit »intelligenten« Werkstoffen realisieren, bei denen das Material in der ersten Form hergestellt und beim Abkühlen in die zweite Form gebracht wird.
 
Größtenteils stecken die Anwendungen jedoch noch in den Kinderschuhen. Neben den genannten Einsatzmöglichkeiten können die »intelligenten« Werkstoffe beispielsweise in Feuermeldern oder Heizungsanlagen direkt auf die Temperaturänderungen reagieren und dadurch mechanische Schalter auslösen. (Im Unterschied zu den althergebrachten Bimetallstreifen bietet eine Formgedächtnislegierung eine genau einzustellende Schalttemperatur, hat eine höhere Schaltenergie und schaltet insgesamt schneller.) Gedacht wird auch an den Einsatz in Spannbeton, wo sie den durch Materialermüdung auftretenden Spannungen entgegenwirken und so einem Bauwerk insgesamt höhere Stabilität verleihen. Zusammen mit piezokeramischen Elementen und anderen Sensoren ist auch an den Einsatz in Tragflächen und Flugzeugrümpfen gedacht. Während die Sensoren die Materialermüdung erkennen und vor Rissen und Brüchen warnen, würden Formgedächtnislegierungen auftretende wechselnde Spannungen während des Fluges aufnehmen und abbauen.
 
Auch der gezielte Eingriff in das Schwingungsverhalten von Werkstoffen mittels »intelligenter« Materialien ist in der Diskussion. Ist ein Bauteil äußeren Schwingungen ausgesetzt, die mit seiner Eigenfrequenz übereinstimmen — bei langen Brücken und hohen Türmen beispielsweise besteht diese Gefahr — so kann das Bauteil unter Umständen selbst so stark zu schwingen beginnen, dass es schließlich beschädigt oder sogar zerstört wird. Eine Verformung, wie sie von »intelligenten« Werkstoffen leicht bewirkt werden kann, verändert jedoch die Eigenfrequenzen und damit das Schwingungsverhalten, sodass solch eine Resonanzkatastrophe vermieden werden kann.
 
Dr. Gunnar Radons
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Werkstoffe: Struktur, Kristalldefekte, Körner
 
 
Geguzin, Jakov E.: Wie werden aus Pulvern kompakte Werkstoffe. Wissenschaftlich-historischer Abriß der Sintertheorie. Aus dem Russischen. Leipzig 1981.
 Glasauer, Franz-Uwe: Gedächtnislegierungen. Experimentelle Untersuchungen und Aufbau einer Wärmekraftmaschine. Düsseldorf 1996.
 
Handbuch der Metallbearbeitung, herausgegeben von Paul Scheipers. Haan 1997.
 
Hartlegierungen und Hartverbundwerkstoffe. Gefüge, Eigenschaften, Bearbeitung, Anwendungen, herausgegeben vonHans Berns. Berlin u. a. 1998.
 Heumann, Theodor: Diffusion in Metallen. Grundlagen, Theorie, Vorgänge in Reinmetallen und Legierungen. Berlin u. a. 1992.
 Hornbogen, Erhard / Warlimont, Hans: Metallkunde. Aufbau und Eigenschaften von Metallen und Legierungen. Berlin u. a. 31996.
 
Schmelze, Erstarrung, Grenzflächen. Eine Einführung in die Physik und Technologie flüssiger und fester Metalle, herausgegeben von Peter R. Sahm u. a. Braunschweig u. a. 1999.
 Schumann, Hermann: Metallographie. Leipzig 131991. Nachdruck Stuttgart 1996.
 Zolotuchin, Ivan V.: Physikalische Eigenschaften amorpher metallischer Werkstoffe. Aus dem Russischen. Leipzig 1992.

Universal-Lexikon. 2012.

Игры ⚽ Поможем решить контрольную работу

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Werkstoffe: Struktur, Kristalldefekte, Körner —   Die Aussage, dass die Eigenschaften von Werkstoffen durch ihren atomaren oder molekularen Aufbau und die dadurch bedingte mikroskopische Struktur des Materials beeinflusst werden, ist insofern ungenau, als man eigentlich vier hierarchische… …   Universal-Lexikon

  • Werkstoffe — Werkstoffe,   Sammelbezeichnung für alle Materialien mit technisch nutzbaren Eigenschaften; die stoffliche Basis der gesamten Technik. In der Regel haben Werkstoffe einen festen Aggregatzustand, jedoch können auch Flüssigkeiten und Gase mit… …   Universal-Lexikon

  • Metalle — Metạlle   [griechisch lateinisch], Sammelbezeichnung für feste und flüssige Stoffe (im engeren Sinn chemische Elemente) mit bei Zimmertemperatur relativ großer (Größenordnung 104 bis 105 S/cm), bei steigender Temperatur abnehmender elektrischer… …   Universal-Lexikon

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”